Warum nicht mit Mixern, Töpfen, Wasserkochern, Haartrocknern und anderem „Krempel“ Geräusche erzeugen und daraus ein Musikstück entstehen lassen (John Cage)? Warum nicht auf offener Bühne ein Klavier zersägen (Dick Higgins mit anderen Aktivisten)? Warum nicht aus Sperrmüll und Schrott Skulpturen fügen, statt beides unbedacht zu entsorgen (Robert Filliou und Jean Tinguely zum Beispiel)? Warum nicht das Schälen einer Kartoffel oder das Kehren eines Platzes unter Aspekten einer skulpturalen Praxis betrachten (Joseph Beuys)? Warum nicht die Schönheit in der Gosse suchen – um die französische Romantik als Impulsgeberin einzubeziehen (Charles Baudelaire)? Und warum nicht „dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Aussehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein geben“? So das alte – und offensichtlich noch immer aktuelle – Grundsatzprogramm von Novalis, einer der Leitfiguren der deutschen Romantik.3 Weshalb also nicht die ästhetischen Besonderheiten von Alltagsmaterialien, Alltagspraktiken und Alltagssituationen zum Anlass künstlerischer Betrachtungen nehmen, mit ihnen experimentieren und ihnen Kunstwürdigkeit und Kunstfähigkeit zubilligen? Mit diesen und ähnlichen Fragen und entsprechenden Antworten machte eine transatlantische Kunstbewegung mit Namen „Fluxus“ in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts auf sich aufmerksam. Sie griff auf und spitzte zu, was andere „Kunstrevoluzzer“ vor ihr dachten und taten, was in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in der Luft lag und heute in Hoch- und Subkulturen weiterhin lebendig ist. Fluxus oder die Aktivisten der „Situationistischen Internationale“ beispielsweise unterstützten, begleiteten und prägten die Rebellion gegen den „Muff von 1000 Jahren“ unter „den Talaren“4 hierzulande wie anderswo – den Aufbruch und das Aufbegehren der sogenannten 68er und ähnlich Unzufriedener in Europa und Nordamerika. Die Fluxus-Bewegung demonstrierte auf unverblümte Weise, wie eine Kunst von „genialen Dilettanten“, ganz „ohne Talent“5 und ohne künstlerisches „Fachidiotentum“ aussehen könnte. Stattdessen praktizierte sie mit List, Mut, Frechheit und Ironie Kunst- und Gesellschaftskritik. Das in der Absicht, mit „antikünstlerischen“ Mitteln künstlerisch tätig zu werden und bislang Verborgenes und Unbedachtes aufzudecken und sich von handwerklich fixierten Traditionen und Denkmustern zu befreien. EXIT! Der Künstler Wolf Vostell brachte den Fluxus-Gedanken auf die Formel: „Kunst = Leben, Leben = Kunst“.
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(öffnet PDF: „FLUXUS, FLUX-tours: EXIT“-Text von Ulrich Puritz)